6.7.3 Moralphilosophie und Theologie

Autor: Yusuf Kuhn -

Im dritten und letzten Abschnitt des Postskripts zum Thema Die Beziehung der Moralphilosophie zur Theologie geht es um die Kritik, dass MacIntyres Erzählung einer angemessenen Behandlung des Verhältnisses zwischen der aristotelischen Tradition der Tugenden und der christlichen Tradition ermangelt. MacIntyre gesteht diesen Mangel ein, der freilich von großer Tragweite ist.

Die Einsicht in die Bedeutung und die Folgen dieses Mangels dürften maßgeblich mit dazu beigetragen haben, dass MacIntyre in der Folgezeit im Geiste der Versöhnung von Aristotelismus und Christentum seine Position in Richtung eines thomistischen Aristotelismus weiterentwickelt hat. Den Kern der problematischen Beziehung zwischen aristotelischer Tugendethik und christlicher Gebotsethik beschreibt MacIntyre folgendermaßen:

Von dem Augenblick an, als die biblische Religion und der Aristotelismus einander gegenübergestellt wurden, verlangte die Frage der Beziehung von Behauptungen über die menschlichen Tugenden zu Behauptungen über das göttliche Gesetz und die göttlichen Gebote eine Antwort. Jede Versöhnung von biblischer Theologie und Aristotelismus müßte die These verteidigen, daß nur ein Leben, das im wesentlichen durch Gehorsam gegenüber dem Gesetz konstituiert wird, so sein könnte, daß es vollständig jene Tugenden zeigt, ohne die menschliche Wesen ihr Telos nicht erreichen können. Jede gerechtfertigte Zurückweisung einer solchen Versöhnung müßte Gründe für die Ablehnung dieser These anführen. Die klassische Darlegung und Verteidigung dieser These stammt selbstverständlich von Thomas von Aquin […]. (369)

Im Lichte der thomistischen Versöhnung von christlicher Theologie und aristotelischer Philosophie erkennt MacIntyre manche Teile seiner philosophischen Geschichte als unzulänglich oder gar fehlerhaft. Er nennt insbesondere das komplexe und wechselhafte Wesen der protestantischen und jansenistischen Reaktion auf die aristotelische Tradition sowie Kants Versuch einer Gründung der Moral auf Vernunft, die impliziert, dass der Aristotelismus nicht nur verworfen wird, sondern auch als eine Hauptquelle moralischen Irrtums identifiziert wird. Daraus ergibt sich das Erfordernis weiterer Zusätze und Berichtigungen zu seiner philosophischen Erzählung, wenn die daraus abgeleiteten Thesen ihren Anspruch auf rationale Rechtfertigung wahren sollen.

MacIntyre beschließt das Postskript mit dem trefflichen Hinweis darauf, dass After Virtue in dieser und mancher anderer Hinsicht als ein Werk, das noch in der Entwicklung ist, (a work still in progress) gelesen werden sollte.