5 Ibn Taymiyyas Historiographie der falsafa

5 Ibn Taymiyyas Historiographie der falsafa Yusuf Kuhn
Textlänge des Kapitels in Buchseiten ca. 40

Yahya Michot

5.1 Vorbemerkung

5.1 Vorbemerkung Yusuf Kuhn

Dieser Artikel von Yahya Michot, der mehrere aus dem Arabischen übersetzte Texte von Ibn Taymiyya präsentiert, erschien 2012 in dem Sammelband Islamic philosophy, science, culture, and religion: studies in honor of Dimitri Gutas in englischer Sprache unter dem Titel From al-Maʾmūn to Ibn Sabʿīn via Avicenna: Ibn Taymīya’s Historiography of Falsafa.* Die Veröffentlichung dieser Übersetzung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors, dem herzlich gedankt sei. Aus dem Englischen übertragen von Yusuf Kuhn.


*Yahya Michot, From al-Maʾmūn to Ibn Sabʿīn via Avicenna: Ibn Taymīya’s Historiography of Falsafa, in: Felicitas Opwis und David Reisman (Hg.), Islamic philosophy, science, culture, and religion: studies in honor of Dimitri Gutas, Koninklijke Brill NV, Leiden, 2012, S. 453-475. Zum Autor siehe Zu Yahya Michot in: Ibn Taymiyya, Islam – Weg der Mitte. Texte von Ibn Taymiyya, Aus dem Arabischen übertragen, eingeführt und kommentiert von Yahya Michot. Aus dem Französischen und Englischen übertragen von Yusuf Kuhn, Zweite Auflage, Hamburg, 2019, S. 20-22.

5.2 Einführung

5.2 Einführung Yusuf Kuhn

Dimitri Gutas liefert mit seinem Buch Greek Thought, Arabic Culture (Griechisches Denken, Arabische Kultur) einen bemerkenswerten Beitrag zum besseren Verständnis der Ursprünge der falsafa und zu einer genaueren Darstellung ihrer Entwicklung im Verhältnis zu den wissenschaftlichen und anderen intellektuellen Bestrebungen von Muslimen während der klassischen Periode des Islam. Da es der gräko-arabischen Übersetzungsbewegung in Bagdad und der frühen abbasidischen Gesellschaft gewidmet ist, beinhaltet das Werk nicht – was von ihm auch nicht erwartet werden konnte – eine trans-historische Analyse der Konvergenzen, Abhängigkeiten und Einflüsse, Interaktionen und Prozesse der gegenseitigen Befruchtung oder ideologischen Metamorphose, die sich im Laufe der Jahrhunderte zwischen den falāsifa (Anhängern der falsafa; Philosophen) und den Denkern, die in kalām (Theologie), Sufismus und anderen religiösen Disziplinen tätig waren, zugetragen haben. In seinem Narrativ, das insbesondere in seinem siebten Kapitel »Translation and History« (Übersetzung und Geschichte) entwickelt wird, ist kein Platz für wohlbekannte Persönlichkeiten wie Ǧahm ibn Safwān, Ibn Kullāb, Ibn Ḥanbal und al-Ašʿarī oder auch spätere wie etwa al-Ǧuwaynī, as-Suhrawardī, Ibn Sabʿīn, Faḫr ad-Dīn ar-Rāzī und Ibn ʿArabī.

Eine Ausnahme ist »der berühmte Ḥanbalī Ibn Taymiyya« (gest. 728/1328), dessen angebliche Feindschaft gegenüber den griechischen Wissenschaften, »mehr aggressive ideologische Haltung« und »Rückwendung zu einem ›konservativen‹ Traditionalismus« von Dimitri Gutas – im Widerspruch zu gewissen Ansichten, die von Ignaz Goldziher vertreten wurden – als Reaktionen gegen die Gefahren, die von den Kreuzfahrern und Mongolen ausgingen, erklärt werden, die überhaupt nicht repräsentativ sind für eine »alte islamische Orthodoxie«.1 Nun zeigen Ibn Taymiyyas eigene Schriften aber auf, wie komplex seine Meinung über die griechischen Wissenschaften mitunter sein kann. Er ist beispielsweise der Ansicht, dass die Physik und Mathematik von Aristoteles und seinen Anhängern, im Unterschied zu ihrer Metaphysik, viel besser ist als jene der späteren christlichen, muslimischen oder jüdischen Philosophen. Was die Auffassung betrifft, dass Ibn Taymiyyas Ansichten im allgemeinen entweder durch historische und gesellschaftliche Umstände verschärfte Reaktionen oder durch manche alte orthodoxe anti-rationalistische Dogmen bestimmte Ideen gewesen sind, so ist dies eine Alternative, die viel zu strikt und eng gefasst ist, um eine fruchtbare Herangehensweise an sein Denken sein zu können. Er musste einerseits als anbalitischer muftī (Mufti) zugleich einerseits seinen skripturalen und kanonischen Quellen treu und andererseits gemäßigt und flexibel genug sein, um in dem Kontext, in dem er wirkte, tätig sein zu können. Und er war andererseits, wie der Titel eines seiner Hauptwerke bezeugt, – statt sich der Vernunft zu widersetzen – von der wesenhaften Übereinstimmung zwischen der islamischen Tradition und dem, was von den Leuten mit klarer Vernunft gedacht wird, zutiefst überzeugt.

Dies erklärt, neben anderen Dingen, Ibn Taymiyyas besonders scharfsinnige Wahrnehmung der Gesellschaftsgeschichte, in der er sich auf mancherlei Weisen als Vorläufer von Ibn Ḫaldūn erweist. Er sieht, wie sich die Geschichte in den Gesellschaften um ihn herum entfaltet, und er möchte ihrer Vergangenheit Sinn abgewinnen, indem er sie kritisch untersucht, jenseits von Erdichtungen und Mythen.2 Ideen werden mithin für ihn zu Hauptakteuren auf der menschlichen Bühne, und es gelingt ihm ganz hervorragend, sie miteinander in Beziehung zu setzen und ihre legitimen wie illegitimen Abstammungslinien nachzuzeichnen, im Auf und Ab der Jahrhunderte, in Ost und West, unter Heiden und Gläubigen, Häretikern und Heiligen, Theologen, Mystikern und Philosophen. Die Narrative, die er hervorbringt, mögen der Belege in den Tatsachen und der Neutralität ermangeln, die in unseren Tagen die akademische Gelehrsamkeit vermeintlich auszeichnen. Nichtsdestotrotz wäre es ein Fehler, sie mit Missachtung zu strafen, da sie oftmals originelle Einsichten darüber vermitteln, was während der klassischen Periode des Islam in der Tat bedeutende Debatten über Ideen ausgelöst, sie in neue Richtungen gelenkt oder wider Erwarten verschärft hat.

Es ist mir ein Vergnügen, dem in diesem Band geehrten großen Gelehrten fünf Texte von Ibn Taymiyya vorlegen zu dürfen, die nach bestem Wissen in Englisch bislang nicht veröffentlicht worden sind. Text I ist eine Passage der Fatwa über Ibn Tūmart, die Ibn Taymiyya, Henri Laoust zufolge, 709/1310 in Alexandria verfasst hat.3 Text II ist ein Auszug aus der zweiten Abteilung des undatierten Kitāb mufaṣṣal al-iʿtiqād (Buch über die Einzelheiten des Glaubens).4 Die Texte III und IV sind Seiten aus Minhāǧ as-sunna an-nabawīya5 (Der Pfad der prophetischen Tradition), Ibn Taymiyyas berühmte Widerlegung des Minhāǧ al-karāma (Der Weg des Charismas), geschrieben 721/1321 von dem großen schiitischen Theologen al-Muahhar al-Ḥillī (gest. 725/1325). Text V ist eine Passage aus dem undatierten Šarḥ ḥadīt̠ Ǧibrīl (Kommentar zum Hadith über Gabriel), auch genannt Kitāb al-īmān al-awsaṭ (Das mittlere Buch des Glaubens).6 Da Ibn Taymiyya bei verschiedenen Gelegenheiten auf die gleichen Themen zurückkommt, hätten auch andere Schriften ausgewählt werden können, in denen sogar noch mehr Autoren und Lehren genannt werden als in unseren Texten I-V. Einige jener Schriften sind bereits in verschiedenen europäischen Sprachen zugänglich.7 Zudem gibt es wertvolle Studien über Ibn Taymiyyas Ansichten über die falsafa.8 Die hier übersetzten fünf Texte wurden ausgewählt aufgrund des Lichtes, das sie auf die historischen und ideologischen Kontexte der Übersetzungsbewegung sowie auf die Ursprünge, die Entwicklung und die mannigfaltigen Facetten von falsafa (Philosophie) und tafalsuf (Philosophieren) im Islam bis zum Ende des 7./13. Jahrhunderts zu werfen vermögen.

Ibn Sīnās Projekt zielt auch darauf ab, eine Philosophie der Religion, insbesondere, aber nicht ausschließlich, des Islam, zu entwickeln. Ibn Taymiyya trachtet umgekehrt danach, die falsafa einer theologischen Bewertung zu unterziehen. Ein Vergleich der Texte I und II mit Text III zeigt einen Unterschied in der Herangehensweise auf und vielleicht sogar in der Entwicklung. In den Texten I und II werden sowohl die »ābianischen« Philosophen als auch die Muʿtaziliten als ahmitische Feinde der Propheten erachtet und für die miḥna (Inquisition) von al-Maʾmūn verantwortlich gemacht. In Text III wird weiterhin die Ansicht vertreten, dass häretische Philosophierende auftreten, wenn der Islam schwach ist, aber sie werden nun als eine Reaktion gegen die intellektuell mangelhafte Theologie der Ǧahmiten und Muʿtaziliten betrachtet. Die Besten von ihnen – Ibn Sīnā und seinesgleichen – werden sogar dafür gelobt, die Überlegenheit von Muḥammads Gesetz (nāmūs, d.h. nómos) über andere Religionen gepriesen zu haben.

Für den mamlukischen Theologen ermangelt die Gotteslehre der Philosophen stets eines angemessenen Verständnisses der Einzigkeit von Gottes Göttlichkeit (tawḥīd al-ilāhīya) sowie des Prophetentums. Er ist durchaus bereit, Entwicklung und Fortschritt zwischen den Griechen und den falāsifa anzuerkennen; und genau das tut er auch in den Texten III, IV und V. Jüdische, christliche und muslimische Denker haben aufgrund des Einflusses, den ihre jeweilige Religion auf sie ausgeübt hat, das philosophische Vermächtnis, das sie von den Griechen ererbt hatten, reformiert und revidiert. Ein ernstes Problem ist jedoch, dass die islamische Theologie und Spiritualität von der falsafa ebensosehr kontaminiert worden sind, wie sie letztere beeinflusst haben.

Es gibt offensichtliche Ähnlichkeiten zwischen manchen Lehren das kalām und philosophischen Ideen. In Text IV unterstreicht Ibn Taymiyya die Übereinstimmung zwischen der aristotelisch-avicennischen Erklärung der Himmelsbewegungen – eine Finalursache, die die Sphären in Bewegung setzt, indem sie geliebt wird – und der reduktionistischen (muʿaṭṭil) Theologie der qadaritischen Lehre von einem menschlichen Vermögen unabhängig von Gottes Allmacht. In Text V vergleicht Ibn Taymiyya Ǧahms Reduktion des Glaubens (īmān) auf Erkenntnis und Zustimmung (taṣdīq) mit dem philosophischen Gnostizismus, der Glückseligkeit und Rechtschaffenheit auf eine Sache der Erkenntnis und Wahrheit reduziert. An einem bestimmten Punkt ist es allerdings nicht mehr genug, von Ähnlichkeiten zu sprechen: Mitunter können wirkliche Vermischungen von Ideen wie auch tiefe Beeinflussungen festgestellt werden. Das frühe Christentum wurde von der griechischen Idolatrie verfälscht (Text III). Desgleichen wurden spätere Theologen von der »Vermischung der Philosophie mit der kalām-Theologie durch die Philosophierenden« in größere Dunkelheit gestürzt und begannen selbst damit, »kalām-Theologie mit Philosophie zu vermischen«. Daher eine Verminderung der Qualität ihres Verständnisses von manchen göttlichen Attributen der Vollkommenheit und Einzigkeit (tawḥīd) (Text IV). Was die Spiritualität anbelangt, so ist es Ibn Sīnās Prophetologie mit ihren drei prophetischen Vermögen (Intuition, mentaler Einfluss auf die Welt und Imagination), auf die Ibn Taymiyya sowohl Ibn Sabʿīns Trachten, selbst ein Prophet zu werden, als auch Ibn Ibn ʿArabīs Idee der Überlegenheit der Freundschaft (oder Heiligkeit; walāya) über das Prophetentum (nubūwa) zurückführt (Text V).

Ibn Taymiyya hat eine Vorliebe für hierarchisierende Einteilungen von Leuten, Lehren und Religionen. Dabei setzt er sie miteinander in Beziehung und drängt uns dazu, selbst wenn wir mit seiner Klassifikation nicht übereinstimmen, die Aufteilungen und Grenzen unserer eigenen Historiographien der falsafa und darüber hinaus des klassischen islamischen Denkens zu überdenken. Bemerkenswerterweise bewegt sich Ibn Sīnā in diesen Hierarchien von oben nach unten und umgekehrt. Anders gesagt, er ist meist zentral. Es nimmt daher nicht wunder, dass Šams ad-Dīn ad̠-D̠ahabī (gest. 748/1348) gesagt hat, dass der mamlukische Theologe selbst »wiederholt das Gift der Philosophen und ihrer Werke geschluckt hat«.9


1Siehe Dimitri Gutas, Greek Thought, Arabic Culture: The Graeco-Arabic Translation Movement in Baghdad and Early ‘Abbāsid Society, London & New York: Routledge, 1998, S. 170-171 und 160.

2Siehe Yahya Michot, Between Entertainment and Religion: Ibn Taymiyya’s Views on Superstition, in: The Muslim World, 99.1, 2009, S. 1–20.

3Henri Laoust, Une fetwà d’Ibn Taimīya sur Ibn Tūmart, in: Bulletin de l’Institut Français d’Archéologie Orientale, 59, 1960, S. 158–184, hier S. 160–161. Weitere Informationen über die von Ibn Taymiyya genannten Personen und Gruppen finden sich in der Encyclopaedia of Islam.

4Siehe Ibn Taymiyya, Maǧmūʿ al-fatāwā, Hg. ʿA. R. ibn M. Ibn Qāsim, 37 Bände, Rabat: Maktabat al-Maʿārif, 1401/1981, King Ḫālid Hg., Bd. 4, S. 1–190.

5Siehe Ibn Taymiyya, Minhāǧ as-sunna an-nabawīya fī naqḍ kalām aš-šīʿa al-qadarīya, Hg. M. R. Sālim, 9 Bände, Kairo: Maktabat Ibn Taymiyya, 1409/1989.

6Siehe Ibn Taymiyya, Šarḥ ḥadīt̠ Ǧibrīl fī l-Islām wa l-īmān wa l-iḥsān, al-maʿrūf biism Kitāb al-Īmān al-awsat li-Šayḫ al-Islām . . . Ibn Taymiyya, Hg. ʿA. ibn N. az-Zahrānī, ad-Dammām: Dār Ibn al-Ǧawzī li-n-Našr wa-t-Tawzīʿ, 1423[/2002], S. 289–648, und Maǧmūʿ al-fatāwā, Bd. 7, S. 461–622 (unvollständige Ausgabe).

7Siehe beispielsweise Yahya Michot, Ibn Taymiyya. Lettre à Abū l-Fidāʾ, Traduction, présentation, notes et lexique, Louvain-la-Neuve: Université Catholique de Louvain, 1994; Yahya Michot, A Mamlūk Theologian’s Commentary on Avicenna’s Risāla Aḍḥawīya: Being a Translation of a Part of the Darʾ at-Taʿāruḍ of Ibn Taymiyya, with Introduction, Annotation, and Appendices, in: Journal of Islamic Studies, 14.2–3, 2003, S. 149–203 und S. 309–363; Yahya Michot, Vizir « hérétique » mais philosophe d’entre les plus éminents: al-Ṭūsī vu par Ibn Taymiyya, in: Farhang, 15–16, Nr. 44–45, 2003, S. 195–227; Yahya Michot, Misled and Misleading . . . Yet Central in their Influence: Ibn Taymiyya’s Views on the Ikhwān al-Ṣafāʾ, in: The Ikhwān al-Ṣafāʾ and their Rasāʾil, An Introduction, Epistles of the Brethren of Purity, Hg. N. El-Bizri, Oxford: Oxford University Press, in association with the Institute of Ismaili Studies, 2008, S. 139–79. Überarbeitete Version mit bedeutenden editorischen Korrekturen, zugänglich über www.muslimphilosophy.com; Wael B. Hallaq, Ibn Taymiyya Against the Greek Logicians, Translation with an Introduction and Notes, Oxford: Clarendon Press, 1993.

8Insbesondere Thomas Michel, Ibn Taymiyya’s Critique of Falsafa, in: Hamdard Islamicus, 6.1, 1983, S. 3–14; Thomas Michel, A Muslim Theologian’s Response to Christianity. Ibn Taymiyya’s Al-jawāb al-ṣaḥīḥ, in: Studies in Islamic philosophy and science, Delmar & New York: Caravan Books, 1984, S. 15–24. Michels Herangehensweise an Ibn Taymiyyas Kritik der Philosophie entfaltet sich vor allem unter zwei Gesichtspunkten: Christentum und die spät-sufistische Lehre der Einheit der Existenz (waḥdat al-wuǧūd); Hallaqs Herangehensweise unter dem Gesichtspunkt der Logik.

9Siehe Donald Little, Did Ibn Taymiyya Have a Screw Loose?, in: Studia Islamica, 41, 1975, S. 93–111; wieder veröffentlicht in: Donald Little, History and Historiography of the Mamlūks, VIII, London: Variorum Reprints, 1986, S. 101.

5.3 Übersetzungen

5.3 Übersetzungen Yusuf Kuhn

5.3.1 I. Die »tūmartische« Inquisition von al-Maʾmūn

5.3.1 I. Die »tūmartische« Inquisition von al-Maʾmūn Yusuf Kuhn

[Die Anhänger von Ibn Tūmart]1 hatten einen Tag, den sie »den Tag des Kriteriums« (yawm al-furqān)2 nannten und an dem er, wie er behauptete, zwischen den »Leuten des Gartens« und den »Leuten des Feuers« zu unterscheiden pflegte. All jene, von denen sie wussten, dass sie zu ihren Freunden gehörten, reihten sie unter die Leute des Gartens ein und versicherten sie des Schutzes ihres Blutes. Und jene, von denen sie wussten, dass sie zu ihren Feinden gehörten, reihten sie unter die Leute des Feuers ein und erklärten das Vergießen ihres Blutes für statthaft. Sie erklärten somit für statthaft, das Blut von Abertausenden von mālikitischen Leuten des Maghreb zu vergießen, die unter den Leuten [die] dem Buch und der Sunna gemäß dem Weg von Mālik [ibn Anas]3 [folgten] und den Leuten von Medina waren. Sie pflegten in der Tat den Qurʾān und beispielsweise den ḥadīt̠ der zwei Ṣaḥīḥ4, den Muwaṭṭaʾ und andere Sammlungen davon zu rezitieren – und die Rechtsgelehrsamkeit (fiqh) gemäß dem Weg der Leute von Medina [zu praktizieren]. Er behauptete mithin, dass sie verkörperlichende Assimilationisten (Sing.: mušabbih muǧassim) waren, obgleich sie nicht unter den Leuten [die] einer solchen Lehre (maqāla) [folgten] waren, und es ist von keinem Gefährten von Mālik bekannt, dass er öffentlich von der Assimilation [Gottes an Seine Geschöpfe] und der Verkörperlichung [von Ihm] gesprochen hat.

Auf der Grundlage von solchen und ähnlichen Interpretationen (taʾwīl) erklärte [Ibn Tūmart] es ebenfalls für statthaft, den Besitz von [diesen Leuten zu konfiszieren] und andere verbotene [Handlungen] der gleichen Art [zu begehen], wie sie von den reduktionistischen (muʿaṭṭil) Ǧahmiten5, wie etwa die Philosophen, die Muʿtaziliten und die übrigen Verneiner der [göttlichen] Attribute, für statthaft erklärt worden waren in Bezug auf die Leute der Sunna und der Gemeinschaft (ahl as-sunna wa-l-ǧamāʿa), als sie während des Kalifats von al-Maʾmūn6 Leute Prüfverfahren unterzogen. Sie haben öffentlich gesagt, dass der Qurʾān erschaffen ist und dass Gott im Jenseits nicht geschaut wird. Sie verneinten auch, dass Gott ein Wissen oder eine Macht oder eine Rede oder einen Willen oder irgendeines der durch Sein Wesen bestehenden Attribute hat. Jeden, der mit ihnen in diesem Reduktionismus übereinstimmte, pflegten sie des Schutzes seines Blutes und seines Besitzes zu versichern, mit offiziellen Ämtern zu betrauen und mit Unterhalt aus dem Schatzamt zu versorgen, sein Zeugnis anzunehmen und aus der Gefangenschaft auszulösen. Jeden, der mit ihnen in der Erschaffenheit des Qurʾān und ihren doktrinären Neuerungen (bidʿa), die daraus folgten, nicht übereinstimmte, pflegten sie zu töten oder ins Gefängnis zu werfen, zu schlagen oder Gaben aus dem Schatzamt zu verweigern; sie betrauten ihn nicht mit einem offiziellen Amt, nahmen sein Zeugnis nicht an und lösten ihn nicht von den Ungläubigen aus.7 Sie pflegten zu sagen: »Hier ist ein Assimilationist (mušabbih); hier ist ein Verkörperlicher (muǧassim), weil er sagt, dass Gott im Jenseits geschaut wird und dass der Qurʾān die unerschaffene Rede Gottes ist, dass Gott auf dem Thron sitzt«8 und ähnliche Dinge.

Diese Inquisition (miḥna), die den Muslimen auferlegt wurde, dauerte mehr als zehn Jahre: das Ende des Kalifats von al-Maʾmūn und die Kalifate von seinem Bruder al-Muʿtaṣim9 und von al-Wāṯiq,10 dem Sohn von al-Muʿtaṣim. Gott, der Erhabene, hat sodann diese Heimsuchung von der Gemeinschaft fortgenommen, während der Regentschaft von al-Mutawakkil ʿalā Llāh11 - und aus den Reihen seiner Nachfahren, nicht der Nachfahren jener, die den Leuten der Sunna die Inquisition auferlegt hatten, ließ Gott die Gesamtheit der [späteren] abbasidischen Kalifen hervorgehen.12 Al-Mutawakkil gab den Befehl, die Inquisition aufzuheben, die Autorität (iẓhār) von Qurʾān und Sunna wiederherzustellen und die [Überlieferungen] zu berichten, deren Herkunft vom Propheten, Gott möge ihn segnen und ihm Frieden gewähren, den Gefährten und ihren Nachfolgern wohl bestätigt ist, [die göttlichen Attribute] zu bestätigen und den Reduktionismus zu widerlegen.

Indem sie die Religion [durch andere Dinge] ersetzten (tabdīl), sind die reduktionistischen Ǧahmiten so weit gegangen, auf die Bedeckung der Kaʿba zu schreiben: »Nichts ist Ihm gleich, und Er ist der Mächtige, der Weise.«13 Sie sagten nicht: »… und Er ist der Hörende, der Sehende«14, und sie pflegten Leute Prüfverfahren zu unterziehen durch das [Rezitieren dieses] Wortes Gottes, des Erhabenen: »Nichts ist Ihm gleich …«. Wenn die Leute dann sagten: »… und Er ist der Hörende, der Sehende«, verurteilten sie sie. Nun besteht der Weg (mad̠hab) der Altvorderen (salaf) der Gemeinschaft und ihrer Imāme indes darin, Gott mittels dessen zu beschreiben, womit Er Sich Selbst beschrieben hat, und mittels dessen, womit Sein Gesandter Ihn beschrieben hat, weder mit Abänderung (taḥrīf) noch mit Reduktion (taʿṭīl), und weder mit Auferlegung eines »Wie« (takyīf) noch mit Angleichung (tamt̠īl). [Die Leute der Sunna] verneinen daher von Gott nicht, was Er von Sich Selbst ausgesagt hat, und sie gleichen Seine Attribute nicht den Attributen Seiner Geschöpfe an. Sie wissen vielmehr, dass Ihm nichts gleicht, weder in Hinsicht auf Sein Wesen noch in Hinsicht auf Seine Attribute, noch in Hinsicht auf Seine Handlungen. Genauso wie Sein Wesen nicht den Wesen [der Geschöpfe] gleicht, so gleichen Seine Attribute nicht ihren Attributen. Gott, der Erhabene, hat die Gesandten geschickt, und sie haben Ihn mittels einer detaillierten Affirmation [von Seinen Attributen] (it̠bāt mufaṣṣal) und einer allgemeinen Negation [von jeglicher Angleichung] (nafy muǧmal) beschrieben, wohingegen die Feinde der Gesandten – die ahmitischen Philosophen und ihresgleichen – Ihn mittels einer detaillierten Negation [von Seinen Attributen] (nafy mufaṣṣal) und einer allgemeinen Affirmation [von Seiner Existenz] (it̠bāt muǧmal) beschreiben.15


1Der Begründer und mahdī der almohadischen Bewegung (gest. 524/1130). «Was [Ibn Tūmart] über tawḥīd gesagt hat, war in der Tat, was die Verneiner der Attribute – Ǧahm, Ibn Sīnā und ihresgleichen – sagen« (Ibn Taymiyya, Darʾ at-taʿāruḍ, übersetzt in: Yahya Michot, A Mamlūk Theologian’s Commentary I, S. 179).

2Vgl. den Namen der 25. sūra des Qurʾān, nämlich: al-Furqān.

3Theologe und Rechtsgelehrter (gest. in Medina, 179/796), Namensgeber von einer der vier Schulen des sunnitischen Rechts und Verfasser von Muwaṭṭaʾ.

4Die zwei bedeutendsten ḥadīt̠-Sammlungen, von al-Buḫārī (gest. Ḫartank, 256/870) und Muslim an-Naysābūrī (gest. 261/875).

5Den Anhängern der theologischen Lehren von Ǧahm ibn Ṣafwān, Abū Muḥriz (gest. 128/746). Ibn Taymiyya macht Ǧahm zu einem Schüler von Ǧaʿd ibn Dirham (gest. 124/742) und einem Vorläufer der Muʿtaziliten.

6Al-Maʾmūn, Abū al-ʿAbbās ʿAbd Allāh ibn Hārūn ar-Rašīd, 7. abbasidischer Kalif (Regierungszeit 196/812–218/833).

7Als die abbasidischen Behörden Tausende von muslimischen Gefangenen im Jahr 231/846 von den Byzantinern auslösten, weigerten sie sich mit Bedacht, das Lösegeld von jenen zu bezahlen, die das Dogma von der Erschaffenheit des Qurʾān nicht annahmen; siehe Henri Laoust, Une fetwà d’Ibn Taimīya sur Ibn Tūmart, S. 173, Anm. 1.

8Siehe Qurʾān, Ṭāʾ Hāʾ, 20:5.

9Al-Muʿtaṣim bi-Llāh, Abū Isḥāq ibn Hārūn ar-Rašīd, 8. abbasidischer Kalif (Regierungszeit 218/833–227/842).

10Al-Wāṯiq bi-Llāh, Abū Ǧaʿfar Hārūn ibn al-Muʿtaṣim, 9. abbasidischer Kalif (Regierungszeit 227/842–232/847).

11Al-Mutawakkil ʿalā Llāh, Abū l-Faḍl Ǧaʿfar ibn Muḥammad, 10. abbasidischer Kalif (Regierungszeit 232/847–247/861).

12Mit der Ausname von al-Mustaʿīn (Regierungszeit 248/862–252/866) und al-Muhtadī (Regierungszeit 255/869–256/870).

13Imaginärer Qurʾān-Vers, zusammengesetzt aus dem Anfang von Qurʾān, aš-Šūrā, 42:11, und der Formel »... und Er ist der Mächtige, der Weise”, mit der mehrere Qurʾān-Verse enden (zum Beispiel an-Naḥl, 61:60, und al-ʿAnkabūt, 29:42).

14Das heißt das wirkliche Ende von Qurʾān, aš-Šūrā, 42:11, das von den Muʿtaziliten als zu anthropomorphistisch erachtet wurde.

15Ibn Taymiyya, Maǧmūʿ al-fatāwā, Bd. 11, S. 478–80.

5.3.2 II. Geschwächter Sunnismus und das Aufblühen von Neuerungen, einschließlich Philosophie, von der Übersetzungsbewegung unter al-Maʾmūn bis zu den Ayyūbiden

5.3.2 II. Geschwächter Sunnismus und das Aufblühen von Neuerungen, einschließlich Philosophie, von der Übersetzungsbewegung unter al-Maʾmūn bis zu den Ayyūbiden Yusuf Kuhn

Die Hochachtung der Imāme der Gemeinschaft und ihrer Allgemeinheit für die Sunna, den ḥadīt̠ und ihre Leute (ahl) hinsichtlich der Prinzipien und der abgeleiteten Zweige [der Religion] – Worte und Taten – ist so groß, dass sich hier eine besondere Erwähnung erübrigt. Man stellt fest, dass immer dann, wenn der Islam und der Glaube sichtbar und stark sind, die Sunna und ihre Leute sichtbarer und stärker sind; wohingegen, wenn irgendein Unglaube und Heuchelei auftreten, Neuerungen in entsprechendem Maße aufkommen. Beispielsweise gilt dies für die Regentschaft (dawla) von al-Mahdī1, ar-Rašīd2 und anderen [Regenten], die den Islam und den Glauben hochgeachtet haben und Feldzüge gegen seine Feinde – die Ungläubigen und die Heuchler – durchführten; in jenen Tagen waren die Leute der Sunna stärker und zahlreicher, während die Leute der Neuerungen unterwürfiger und weniger waren. Al-Mahdī tötete in der Tat eine Anzahl von heuchlerischen Freidenkern (zindīq), die niemand zählen kann außer Gott, während ar-Rašīd viele Feldzüge durchführte und viele Pilgerfahrten machte.

Als das abbasidische Reich sich ausdehnte, gab es in der Tat unter den Leuten des Orients und den Nicht-Arabern, die sie unterstützten, Gruppen von jenen, die der Prophet, Gott möge ihn segnen und ihm Frieden gewähren, kennzeichnete, indem er sagte: »Es wird dort Ungemach (fitna) geben.«3 Zu jener Zeit kamen viele der Neuerungen auf. Es geschah auch in jener Zeit, dass eine Gruppe von Büchern der Nicht-Araber – der persischen Magier4, der byzantinischen (rūm) Ṣābianer5 und der indischen Götzenverehrer – in das Arabische übersetzt wurden. Al-Mahdī gehörte zu den Vorzüglichsten der abbasidischen Kalifen und den Besten von ihnen in Sachen des Glaubens, der Gerechtigkeit und der Großzügigkeit. Er gelangte mithin auch an den Punkt, wo er zur Tat gegen die heuchlerischen Freidenker schritt.

Die abbasidischen Kalifen kamen der Verpflichtung, die Gebete zu ihren [vorgeschriebenen Zeiten] zu verrichten, besser nach als die Umayyaden. Die letzteren pflegten in der Tat oftmals die Zeiten des Gebets verstreichen zu lassen, wie von ihnen im ḥadīt̠ gesagt wird: »Nach mir wird es Emire geben, die das Verrichten des Gebets über seine Zeit hinaus verzögern. Verrichte das Gebet zur rechten Zeit, und betrachte die Gebete, die du mit ihnen verrichtest, als übergebührlich!«6 Gleichwohl wurden während der drei vorzüglichen Generationen7 für gewöhnlich Neuerungen unterdrückt, war das Recht (šarīʿa) mächtiger und sichtbarer und wurde dem Führen des ǧihād gegen die Feinde der Religion – die Ungläubigen und die Heuchler – größere Bedeutung beigemessen.

Die Ḫurramiten8 und andere Heuchler wie sie traten während der Regentschaft von Abū l-ʿAbbās al-Maʾmūn in Erscheinung, und Bücher der Alten (al-awāʾil), die aus den Ländern der Byzantiner gebracht wurden, wurden in das Arabische übersetzt, wodurch sich die Lehren der Ṣābianer verbreiteten. Er führte einen Briefwechsel mit den Königen der Götzenverehrer – den Indern und ihresgleichen – fort, so dass sich zwischen ihm und ihnen freundschaftliche Beziehungen (mawadda) entwickelten.

Als Unglaube und Heuchelei unter den Muslimen auftrat, wie sie es taten, als die Lage der Götzenverehrer und der Leute des Buches stark wurde, wie es geschah, war eine der Folgen das, was in Erscheinung trat von der Macht, welche die Ǧahmiten, die Rāfiḍiten9 und die anderen Leute des Irrtums erlangten, und von dem Aufstieg der Ṣābianer und ihresgleichen unter den Philosophierenden. Und dies durch eine Reihe von Ideen, die von ihren Urhebern für vernünftig und gerecht (ʿadl) erachtet wurden, obgleich sie nichts anderes sind als Unwissenheit und Ungerechtigkeit! Wahrlich, den Gläubigen und den Heuchler oder den Muslim und den Ungläubigen als Gleiche zu behandeln, ist die größte Ungerechtigkeit. Was das Suchen nach Leitung von den Leuten des Irrtums betrifft, so ist es die größte Unwissenheit. Die ğahmitische Inquisition (miḥna) hatte darin ihren Ursprung, wobei die Gemeinschaft sogar die Prüfung durchlaufen musste, dazu gezwungen zu werden, die [göttlichen] Attribute zu negieren und als Lügen zu erachten, dass Gott spricht und [im Jenseits] geschaut wird. Imām Aḥmad [ibn Ḥanbal]10 und andere durchliefen folglich die Prüfungen, die sie durchliefen, aber die Angelegenheit wäre zu lang, um [hier] berichtet zu werden.

Der Islam gewann in den Tagen von al-Mutawakkil seine Stärke zurück, so dass die geschützten Leute (ahl ad̠-d̠imma) wieder dazu genötigt waren, die Bedingungen [die für sie aufgestellt worden waren] von [dem Kalifen] ʿUmar11 zu erfüllen und unterwürfig (ṣiġār) zu sein. Die Sunna und die [islamische] Gemeinschaft (ǧamāʿa) gewannen ihre Stärke zurück, und die Ǧahmiten, die Rāfiḍiten und ihresgleichen wurden unterdrückt. Desgleichen in den Tagen von al-Muʿtaḍid12, al-Mahdī, al-Qādir13 und den anderen Kalifen, die eine löblichere Lebensweise pflegten und einem besseren Pfad folgten als die anderen: in ihren Zeiten war in entsprechendem Maße der Islam mächtiger und so auch die Sunna.

Während der Regentschaft der Būyiden14 und ihresgleichen war es umgekehrt. Die verschiedenen Arten von tadelnswerten Doktrinen [zirkulierten] in der Tat unter ihnen. Es gab Freidenker unter ihnen. Es gab unter ihnen auch viele Qarmaṭen15 und Philosophierende, Muʿtaziliten und Rāfiḍiten; und diese Dinge waren unter ihnen reichlich vorhanden, so dass sie davon überwältigt wurden. In ihren Tagen trat eine zuvor unbekannte Schwächlichkeit (wahan) unter den Leuten des Islam und der Sunna auf, mit der Folge, dass die Nazarener die Grenzfestungen des Islam eroberten,16 die Qarmaṭen sich in Ägypten ausbreiteten, den Westen, den Osten und andere [Regionen],17 und viele Entwicklungen stattfanden.

Da das Königtum von Maḥmūd ibn Sebüktigīn18 zu den besten Königreichen seiner Stammesgenossen gehörte, wurden der Islam und die Sunna in seiner Regierungszeit mächtiger. Er hat Feldzüge gegen die Götzenverehrer – die Leute von Indien – durchgeführt und Gerechtigkeit in einem außergewöhnlichen Maße verbreitet. In seinen Tagen war die Sunna sichtbar, während die Neuerungen in seinen Tagen unterdrückt wurden.

Gleiches gilt für den Sulṭān Nūr ad-Dīn Maḥmūd19, der Syrien regierte: In seiner Zeit waren die Leute des Islam und der Sunna mächtig, während die Ungläubigen und die Leute der Neuerungen – jene der Rāfiḍiten, der Ǧahmiten und ihresgleichen, die in Syrien, Ägypten und anderswo waren – unterworfen wurden. Gleiches gilt auch in seiner Zeit für das Kalifat der ʿAbbāsiden und das Wesirat von Ibn Hubayra20, der ihnen diente. Er gehörte zu den vorbildlichsten Wesiren des Islam, und deshalb trug er für den Islam und den ḥadīt̠ in einer Weise Sorge, wie kein anderer es vermochte.21


1Al-Mahdī, Abū ʿAbd Allāh Muḥammad, 3. abbasidischer Kalif (Regierungszeit 158/775–169/785).

2Ar-Rašīd, Hārūn ibn Muḥammad ibn ʿAbd Allāh, 5. abbasidischer Kalif (Regierungszeit 170/786–193/809).

3Siehe Ibn Ḥanbal, al-Musnad, 6 Bände, Kairo: al-Bābī al-Ḥalabī, 1313/[1896], anastatischer Nachdruck: Beirut: al-Maktab al-Islāmī, 1403/1983, Bd. 2, S. 143. Der Prophet sagte dies dreimal und deutete dabei mit seiner Hand in Richtung Irak.

4D.h. der Zoroastrier.

5Die Ṣābianer von Ḥarrān, die noch lange nach der Ausbreitung des Islam in ihrer Region einen alten Planetenkult aufrechtzuerhalten vermochten.

6Siehe Muslim, al-Ǧāmiʿ aṣ-Ṣaḥīḥ, 8 Bände, Konstantinopel, 1334/[1916], anastatischer Nachdruck: Beirut: al-Maktab at-Tiǧārī li-ṭ-Ṭibāʿa wa-n-Našr wa-t-Tawzīʿ, o.D., Bd. 2, S. 120; Ibn Ḥanbal, Musnad, Bd. 5, S. 159.

7Die ersten drei Generationen der Muslime: die Gefährten des Propheten, ihre Nachfolger und deren Nachfolger.

8Ḫurramīya, oder Ḫurramdīnīya (vom persischen ḫurram-dīn, «freudige, angenehme Religion”), bezeichnete ursprünglich die religiöse Bewegung von Mazdak im allgemeinen. Später wurde es verwendet für verschiedene iranische, anti-arabische und oftmals aufrührerische Sekten, die von mazdakistischen und manichäistischen Lehren sowie von extremistischen schiitischen Doktrinen beeinflusst wurden. Ḫurramiten wurden oftmals identifiziert mit der Muslimīya, Anhänger des anti-umayyadischen Anführers Abū Muslim (gest. 137/755), die letzteren als ihren Imām, Propheten oder als Inkarnation des göttlichen Geistes betrachteten.

9Pejorative Bezeichnung für die Šīʿīten, welche die ersten drei Kalifen »ablehnen« (rafaḍa).

10Aḥmad ibn Ḥanbal (gest. Baġdād, 241/855), Theologe, Rechtsgelehrter und Traditionist, Namensgeber einer der vier Schulen des sunnitischen Rechts.

11ʿUmar ibn al-Ḫaṭṭāb, der zweite Kalif (gest. 23/644).

12Al-Muʿtaḍid bi-Llāh, Abū l-ʿAbbās Aḥmad ibn Ṭalḥa, 16. abbasidischer Kalif (Regierungszeit 279/892–289/902).

13Al-Qādir bi-Llāh, Abū l-ʿAbbās Aḥmad ibn Isḥāq, 25. abbasidischer Kalif (Regierungszeit 381/992–422/1031).

14Zwölferschiitische iranische Dynastie, die den abbasidischen Kalifen in Baġdād von 334/945 bis 447/1055 kontrollierte.

15Eine ismāʿīlitische Sekte.

16Anspielung auf die militärischen Erfolger der Byzantiner Nicephorus Phocas und Johannes Tzimisces über die Ḥamdāniden in Aleppo nach 350/961.

17Anspielung auf die fāṭimidische Dynastie, begründet 297/909 durch den Ismāʿīliten ʿUbayd Allāh al-Mahdī in Nordafrika. Ǧawhar, General des vierten fāṭimidischen Kalifen al-Muʿizz, eroberte Ägypten und begann 358–359/969–970 mit dem Bau von Kairo.

18Sulṭān der türkischen Ġaznawiden-Dynastie von Afġānistān (Regierungszeit 388/998–421/1030).

19Nūr ad-Dīn Maḥmūd ibn Zankī, Sulṭān der Ayyūbiden-Dynastie von Syrien (Regierungszeit 541/1146–569/1174).

20Ibn Hubayra, ʿAwn ad-Dīn Abū l-Muẓaffar Yaḥyā ibn Muḥammad (gest. 560/1165), Wesir der ʿabbāsidischen Kalifen al-Muktafī und al-Mustanǧid während der letzten 16 Jahre seines Lebens, Schutzherr der ḥanbalitischen Schule und Verfasser, neben anderen Werken, von Kommentaren über die ḥadīt̠-Sammlungen von al-Buḫārī und Muslim.

21Ibn Taymiyya, Maǧmūʿ al-fatāwā, Bd. 4, S. 20–3.

5.3.3 III. Der Beitrag der Theologen zum Auftreten der häretischen falāsifa

5.3.3 III. Der Beitrag der Theologen zum Auftreten der häretischen falāsifa Yusuf Kuhn

Für viele der späteren Beobachter ist der kalām-theologische Weg, der von den Ǧahmiten und Muʿtaziliten erfunden und von den Altvorderen (salaf) der Gemeinschaft und ihrer Imāme verurteilt worden ist, selbst zur Religion des Islam geworden. Sie glauben sogar, dass jeder, der sich ihm widersetzt, sich der Religion des Islam widersetzt, obgleich weder ein Koranvers noch ein Prophetenwort (ḫabar noch irgendeiner der Gefährten und derjenigen, die ihnen im Gutes-Tun nachgefolgt sind, über die Urteile und Beweise [, die] in diesem [theologischen Weg gefunden werden,] gesprochen haben. Wie könnte denn die Religion des Islam oder vielmehr die Grundlage der Grundlagen der Religion des Islam zu den Dingen gehören, die weder von einem Buch noch von einer Sunna noch von den Worten von irgendeinem der Altvorderen (salaf) bestätigt worden sind?

Die Häretiker (mulḥid) – die Philosophierenden und andere – sind im Islam später in Erscheinung getreten. Sie sind nach dem Ende der begünstigten Epochen1 aufgetreten und haben sich ausgebreitet. Sie beginnen in der Tat zu jeder Zeit und an jedem Ort in Erscheinung zu treten, wo das Licht des Islam schwächer wird. Zu den Gründen für ihr Auftreten gehört der Umstand, dass sie der Meinung waren, dass die Religion des Islam nichts anderes war als das, was jene [ğahmitischen und muʿtazilitischen] Neuerer sagten, und dass sie dies als ein Verderbnis in der Vernunft (fasād fī l-ʿaql) erachteten. Sie erachteten mithin die wohlbekannte Religion des Islam als ein Verderbnis in der Vernunft, und die Radikalsten (ġulāt) von ihnen griffen die Religion des Islam in ihrer Gesamtheit an, mit ihren Händen und ihrer Zunge; beispielsweise die Ḫurramiten – die Anhänger von Bābak al-Ḫurramī2 - die Qarmaṭen von al-Baḥrayn – die Anhänger von Abū Saʿīd al-Ǧannābī3 - und andere.

Was die Gemäßigten unter ihnen und die Verständigen betrifft, so waren sie der Ansicht, dass in dem, was Muḥammad, Gott möge ihn segnen und ihm Frieden gewähren, gebracht hatte, etwas Gutes und etwas Förderliches (ṣalāḥ) war, das nicht verunglimpft werden konnte. Oder vielmehr gestanden die Scharfsinnigen (ḥād̠iq) unter ihnen zu, was Ibn Sīnā und andere gesagt haben, nämlich dass kein vorzüglicherer nómos (nāmūs) als der nómos von Muḥammad, Gott möge ihn segnen und ihm Frieden gewähren, in die Welt gekommen ist.4 Dieses Urteil war eine notwendige Konsequenz ihres Intellektualismus (ʿaql) und ihrer Philosophie. Sie hatten in der Tat die griechischen Autoren der nómoi studiert und gesehen, dass der von Moses und Jesus gebrachte nómos viel größer war als die nómoi von jenen. Das ist der Grund, warum sie, als der nómos von Jesus, dem Sohn der Maria, Friede sei mit ihm, nach Byzanz (rūm) kam, von der griechischen Philosophie zur Religion des Messias übergingen.

Aristoteles lebte etwa dreihundert Jahre vor dem Messias, dem Sohn der Maria, Friede sei mit ihm. Er war der Wesir von Alexander, dem Sohn von Philipp dem Mazedonier, der die Perser schlug, nach dem die Daten heute gemäß der byzantinischen Ära5 festgesetzt werden und nach dem auch die Juden und Nazarener die Daten festsetzen. Dieser Alexander ist nicht der Zwiegehörnte (d̠ūl-qarnayn), der im Qurʾān6 erwähnt wird, wie ein Gruppe von Leuten meint. Jener [D̠ū l-Qarnayn] war früher als Alexander, und dieser frühere ist derjenige, der die Sperre von Gog und Magog errichtete, wohingegen der Mazedonier diese Sperre nicht erreichte. Jener [D̠ū l-Qarnayn] war ein Muslim, ein Monotheist, wohingegen dieser Mazedonier ein Götzenverehrer war. Er und die Leute seines Landes – die Griechen – waren Götzenverehrer, die Sterne und Idole anbeteten. Es ist gesagt wurden, dass der letzte ihrer Könige Ptolemäus, der Verfasser des Almagest war.7 Nach [ihm] gingen [die Griechen] zur Religion des Messias über. Der nómos, mit dem der Messias gesandt worden war, war fürwahr größer und erhabener.

Auch nachdem sie die Religion des Messias geändert und [mit anderen Dingen] ersetzt hatten, sind die Nazarener der Rechtleitung Gottes und der Religion des Wahren näher als jene Philosophen, die Götzenverehrer waren. Und diese krasse Beigesellung von Teilhabern der letzteren gehört zu den Dingen, die das Verderben der Religion des Messias‛ notwendig nach sich zogen, wie von einer Gruppe von Leuten des Wissens festgestellt wurde. Jene waren, so sagten sie, wahrlich Götzenverehrer; sie verehrten die Sonne, den Mond, die Sterne, und sie warfen sich vor ihnen nieder, während Gott, der Erhabene, nur den Messias mit der Religion des Islam gesandt hat, genauso wie Er die übrigen Gesandten mit der Religion des Islam gesandt hatte, die darin besteht, Gott allein anzubeten, ohne Ihm einen Teilhaber beizugesellen […]

Der Messias, Gottes Segen sei auf ihm, wurde mit dem gesandt, womit die Gesandten vor ihm gesandt worden waren: dem [Gebot zur] Anbetung Gottes allein, ohne Ihm einen Teilhaber beizugesellen. Er erlaubte den Leuten manche der Dinge, die ihnen in der Thora verboten worden waren. Seine Anhänger hielten sich für eine gewisse Zeit an seine Religion (milla) – es wurde gesagt: weniger als hundert Jahre. Danach traten unter ihnen Neuerungen in Erscheinung aufgrund ihrer Feindschaft gegenüber den Juden. Sie begannen danach zu streben, sich ihnen entgegenzustellen; und so erhoben sie übertriebene Behauptungen über den Messias; sie erklärten Dinge für statthaft, die er verboten hatte, und sie erlaubten [den Verzehr von] Schwein usw. Wegen des Hanges zur Beigesellung der Völker erfanden sie Teilhaber [für Gott]. Diese Beigeseller – die Griechen, die Byzantiner (rūm) und andere – pflegten sich vor der Sonne, dem Mond und den Idolen niederzuwerfen. Die Nazarener brachten sie dazu, von der Verehrung von verkörperten Idolen, die einen Schatten haben, auf die Verehrung von figürlichen Abbildungen (tamt̠īl muṣawwar) in den Kirchen überzugehen; und sie brachten diese Neuerung auf, die darin besteht, gen Osten zu beten. Sie beteten mithin in Richtung des Ortes, wo die Sonne, der Mond und die Sterne erscheinen; und sie pflegten in ihre Richtung zu beten und sich in ihre Richtung niederzuwerfen als Ersatz dafür, zu ihnen zu beten und sich vor ihnen niederzuwerfen.

Damit ist hier gemeint, dass der nómos und die Religion der Nazarener, nachdem sie ihre Religion [mit anderen Dingen] ersetzt haben, immer noch besser ist als die Religion jener Griechen, Anhänger der Philosophen. Und das ist der Grund, warum die Philosophen, die die Religion des Islam gesehen haben, sagen, dass der nómos von Muḥammad, Gott möge ihn segnen und ihm Frieden gewähren, vorzüglicher ist als die Gesamtheit der nómoi. Sie haben gesehen, dass er vorzüglicher ist als die nómoi der Nazarener, der Magier und der anderen. Sie haben daher die Religion von Muḥammad, Gott möge ihn segnen und ihm Frieden gewähren, nicht angegriffen, wie jene Philosophen, die das Freidenken zur Schau stellten, ihn angegriffen haben. Sie sahen, dass in dem, was jene kalām-Theologen sagen, Dinge sind, die dem widersprechen, was aus klarer Vernunft hervorgeht (ṣarīḥ al-maʿqūl); sie griffen sie dafür an und begannen zu sagen, dass jemand, der gerecht ist, kein Fanatiker ist und nicht seiner Laune folgt, nicht sagt, was jene [Theologen] sagen über den Anfang und die Rückkehr [der Geschöpfe] (al-mabdaʾ wa-l-maʿād).

Diese [Philosophen, die den nómos von Muḥammad preisen,] sagten [nichtsdestotrotz] auch einer verdorbenen Vernunft entspringende Dinge, die sie von ihren Vorläufern (salaf), den Philosophen, gelernt hatten.8 Sie sahen, dass das, was in einer mannigfach bestätigten Weise (tawātara) von den Gesandten kam, in Widerspruch zu diesen Dingen stand, und sie schlugen daher ihren esoterischen (bāṭinī) Weg ein. Sie sagten, dass die Gesandten das Wissen und die Wahrheiten, auf denen der Beweis in theoretischen Dingen gegründet ist, nicht dargelegt haben (bayyana). Sodann gibt es manche von ihnen, die sagten, dass die Gesandten dies wussten, es aber nicht dargelegt hatten, während andere sagten, dass sie es nicht wussten, sondern lediglich in der praktischen Weisheit hervorragend waren, nicht in der theoretischen Weisheit: Sie sprachen das gemeine Volk (ǧumhūr) mit einer Rede an, die [sie Dinge] imaginieren lässt (taḫyīlī) und sie hinsichtlich des Glaubens an Gott und den Letzten Tag Dinge imaginieren lässt, da der Glaube an sie nützlich war, um sie zu beherrschen (siyāsa), auch wenn dies ein nichtiger Glaube war, der den wirklichen Dingen (ḥaqāʾiq) nicht entsprach. Diese Philosophierenden erlauben nicht die Interpretation (taʾwīl) jener [Rede], weil ihrer Ansicht nach durch sie darauf abgezielt wird, [die Leute Dinge] imaginieren zu lassen; nun ist aber Interpretation mit einem solchen Ziel unverträglich. Sie anerkennen die gottesdienstlichen Handlungen, aber sagen, dass das, worauf durch sie abgezielt wird, ist, die moralische Verfassung der Seele zu bessern. Sie mögen ebenfalls sagen, dass für die Elite jener, die die wahren Wirklichkeiten wissen, diese [Handlungen] aufgehoben sind.

Die doktrinäre Neuerung (bidʿa) jener [frühen ğahmitischen und muʿtazilitischen] kalām-Theologen gehörte mithin zu den Dingen, welche die Häresie dieser Häretiker beförderte.9


1Die ersten drei muslimischen Generationen, auf die bereits in Text II angespielt wurde.

2Gewalttätiger Anführer der Ḫurramī-Rebellion in Ād̠arbayǧān während der Regentschaft von al-Maʾmūn und al-Muʿtaṣim, hingerichtet in Sāmarrā 223/838.

3Qarmaṭischer Anführer, der Ostarabien beherrschte, von der Armee des Kalifen al-Muʿtaḍid geschlagen und 301/913 ermordet wurde.

4Siehe Avicenna, ar-Risāla al-Aḍḥawīya fī l-maʿād, in: F. Lucchetta, Avicenna. Al-Risālat al-Aḍḥawiyya fī l-maʿād, Epistola sulla Vita Futura. I. Testo arabo, traduzione, introduzione e note, Pubblicazioni dell’Istituto di Storia della Filosofia e del Centro per Ricerche di Filosofia Medioevale, Nuova serie, 5, Padova: Editrice Antenore, »Università di Padova«, 1969, S. 84–5; Ibn Taymiyya, Maǧmūʿ al-fatāwā, Übersetzer Yahya Michot, A Mamlūk Theologian’s Commentary I, S. 175–6; Yahya Michot, Ibn Taymiyya on Astrology, Annotated Translation of Three Fatwas, in: Journal of Islamic Studies 11.2, 2000, S. 147–208, hier S. 182–3.

5D.h. die seleukidische Ära; siehe den ähnlichen Text, übersetzt und mit Anmerkungen versehen in: Yahya Michot, A Mamlūk Theologian’s Commentary II, S. 341–3.

6Siehe Qurʾān, al-Kahf, 38:83–98; Yahya Michot, A Mamlūk Theologian’s Commentary II, S. 342, Anm. 112.

7Ibn Taymiyya betrachtet Claudius Ptolemäus, den griechischen Astronomen, Astrologen und Geographen von Alexandria (gest. ca. 168) als den größten der Astrologen, verwechselt ihn aber meistens mit dem letzten König der ptolemäischen Dynastie; siehe Yahya Michot, A Mamlūk Theologian’s Commentary II, S. 341–2.

8E ap. cr.: wa raaw ... al-falāsifa E

9Ibn Taymīya, Minhāǧ as-sunna an-nabawīya, Bd. 1, S. 315–9 und 320–2.

5.3.4 IV. Die Philosophen und kalām-Theologen zwischen dem Reduktionismus der aristotelischen Metaphysik und der offenbarten Lehre der Einzigkeit der Gottheit

5.3.4 IV. Die Philosophen und kalām-Theologen zwischen dem Reduktionismus der aristotelischen Metaphysik und der offenbarten Lehre der Einzigkeit der Gottheit Yusuf Kuhn

In Wirklichkeit erkennen [die Philosophierenden] grundsätzlich dem Herrn keine Handlung zu, und sie sind daher fürwahr Reduktionisten (muʿaṭṭil). Aristoteles und seine Anhänger affirmieren lediglich [die Existenz von] der Erstursache aus dem Gesichtspunkt, dass sie eine Finalursache ist, wie [es der Fall ist mit] der Bewegung der [Himmels-] Sphäre. Ihnen zufolge geschieht die Bewegung der Sphäre tatsächlich durch Entscheidung (iḫtiyār), wie die Bewegung des Menschen; nun muss es für eine Bewegung durch Entscheidung unvermeidlich etwas geben, das gewollt ist (murād) und das mithin erstrebt wird (maṭlūb). Für sie bedeutet das, dass die Sphäre sich bewegt, indem sie sich der Erstursache angleicht (tašabbuh), wie [es der Fall ist mit] der Bewegung von jemandem, der hinter einem Imām in Entsprechung zu dem Imām betet, und von jemandem, der einem Modell in Entsprechung zu diesem Modell folgt. Das ist die Bedeutung von [ihrer] Angleichung (tašbīh) von ihrer [Bewegung] zu der Bewegung des Liebenden durch den Geliebten. Das bedeutet nicht, dass das Wesen Gottes die Sphäre in Bewegung setzt. Was sie sagen wollen, ist lediglich, dass das, was von der Sphäre gewollt wird, ist, sich Ihm möglichst anzugleichen. Nun ist dies aber aus [mehreren] Gesichtspunkten falsch, die andernorts ausführlich behandelt werden.

Die Erstursache, so sagen sie, die diejenige ist, durch welche die Sphäre sich bewegt, ist eine Ursache von ihr, die sie in Bewegung setzt, genauso wie ein Liebender (ʿāšiq) sich wegen des Geliebten (maʿšūq) bewegt. Es kommt einem Menschen gleich, der Verlangen nach Nahrung empfindet und seine Hand zu ihr hin ausstreckt oder der jemanden sieht, den er liebt, und zu ihm hin eilt. Dieser Geliebte ist derjenige, der in Bewegung setzt, weil derjenige, der sich bewegt, ihn liebt, und nicht, weil er [›der Geliebte‹] die Bewegung initiiert hat (abdaʿa), und auch nicht, weil er ihn [seiend] gemacht hat (faʿala). Sodann affirmieren sie also für die Bewegung der Sphäre nicht [die Existenz von] einem Urheber (muḥdit̠), der jene [Bewegung] als Urheber hervorbringt außer der Sphäre [selbst]; genauso wie die Bejaher des menschlichen Vermögens (qadarī) für die Handlungen des Lebewesens (ḥayawān) nicht [die Existenz von] einem Urheber, der sie als Urheber hervorbringt, affirmieren außer dem Lebewesen [selbst]. Das ist der Grund, warum ihrer Ansicht nach die Sphäre ein großes Lebewesen ist. Sie sagen sogar, dass die Sphäre sich bewegt, indem sie sich der Erstursache angleicht, weil die Erstursache von ihr verehrt wird, von ihr geliebt wird. Dies ist auch der Grund dafür, dass sie sagen, dass Philosophie [darin besteht,] sich Gott anzugleichen, so weit man dazu fähig ist [dies zu tun].

In Wirklichkeit ist für sie der Herr weder ein Gott der Welt noch ein Herr der Welten. Sie gehen in ihrer Affirmation von Ihm allerhöchstens so weit, dass Er eine Bedingung für die Existenz der Welt ist und dass die Vollkommenheit des Erschaffenen darin besteht, an Ihn angeglichen zu sein. Das ist ihnen zufolge die Gottheit [Gottes], und das ist [Seine] Herrlichkeit. Was sie sagen, ist daher schlimmer als das, was die Juden und Nazarener sagen, und sie sind weiter als sie von dem entfernt, was vernünftig ist, und von dem, was in der Tradition überliefert ist, wie andernorts ausführlich dargelegt.

Es ist mithin offensichtlich, dass jene philosophierenden Bejaher des menschlichen Vermögens (qadarī) hinsichtlich aller entstandenen Dinge (Sing: ḥādit̠) der Welt sind und dass sie zu den am meisten irregehenden Menschen gehören. Das ist der Grund, weshalb sie die entstandenen Dinge in Verbindung zu den Naturen bringen, die in den Körpern sind und in der Tat den Vermögen, die in Lebewesen sind, gleichkommen. Sie machen daher jeden Urheber (muḥdit̠) zu einem unabhängigen Agenten, wie die Lebewesen für die Bejaher des menschlichen Vermögens (qadarī), und sie affirmieren für die entstandenen Dinge nicht [die Existenz irgendeines anderen] Urhebers.

Was diese Leute wirklich tun, indem sie dies sagen, ist, zu verwerfen, dass Gott der Herr der Welten ist. Sie affirmieren in der Tat nicht, dass Gott der Herr der Welten ist. Sie gehen vielmehr allerhöchstens so weit, dass sie Ihn zu einer Bedingung für die Existenz der Welt machen. Wenn es wahrhaft untersucht wird, [stellt sich die Tatsache heraus, dass] sie Gottes Herr-der-Welten-Sein auf nichts reduzieren (muʿaṭṭil), genauso wie von jenen unter ihnen gesagt wird, die sagen, dass die Sphäre durch sich selbst notwendig existiert. Diese hingegen affirmieren [die Existenz von] einer Ursache, die weder final, gemäß den früheren unter ihnen, noch aktiv, gemäß den späteren unter ihnen, ist. Wenn es nun wahrhaft untersucht wird, [stellt sich die Tatsache heraus, dass] jenes, [dessen Existenz] sie affirmieren, keine Wirklichkeit hat; das ist der Grund, weshalb die Bejaher der Naturen (ṭabāʾiʿī) unter ihnen es verneinen.

Wenn angenommen wird, dass die Sphäre sich durch ihre [eigene] Entscheidung bewegt, ohne dass Gott ihre Bewegung erschafft, gibt es keinen Beweis, dass das, was sie in Bewegung setzt, eine geliebte (maʿšūq) Ursache ist, an die die Sphäre sich angleicht. Vielmehr ist es vorstellbar, dass das, was sich bewegt (mutaḥarrik), [selbst] das ist, was [es] in Bewegung setzt (muḥarrik). Was dagegen vorgebracht werden kann, ist andernorts ausführlich behandelt worden, und was gegen das vorgebracht werden kann, was1 Aristoteles in der Gotteslehre (al-ʿilm al-ilāhī) angeführt hat, ist aus verschiedenen Gesichtspunkten offensichtlich. Es ist auch [offensichtlich], dass diese [Philosophen] unter den Leuten sind [, die] am meisten unwissend von Gott, dem Mächtigen und Erhabenen, [sind].

Jene von ihnen, die zu den Anhängern der verschiedenen Religionen (ahl al-milal) gehören, – die Anhänger des Islam beispielsweise, wie al-Fārābī,2 Ibn Sīnā und ihresgleichen unter den häretischen (mulḥid) Muslimen, Mūsā ibn Maymūn3 und seinesgleichen unter den häretischen Juden, Mattā4 und Yaḥyā ibn ʿAdī5 und ihresgleichen unter den häretischen Nazarenern – sind, obgleich sie zu den häretischen Anhängern der verschiedenen Religionen gehören, richtiger, was Vernunft und Einsicht in die Gotteslehre betrifft, als die Peripatetiker wie Aristoteles und seine Anhänger, auch wenn die letzteren viele Dinge über Einzelheiten in Fragen der Physik und der Mathematik [sagten], in denen sie die ersteren übertrafen.

Was hier gemeint ist, ist, dass jene [Griechen] in Fragen der Gotteslehre unwissender und hinsichtlich ihrer irregehender waren. Zu diesen [Philosophen, die einer Religion anhängen,] kam in der Tat eine Art von dem gleichen Licht, Einsichten und Rechtleitung [, wie] zu den Anhängern der verschiedenen Religionen [gekommen war]. Dadurch kamen sie also zu [einem Denken] in weniger Finsternis als jene [Griechen]. Das ist der Grund, warum Ibn Sīnā beim Nachweis [der Existenz] der Erstursache von dem Weg seiner Vorläufer (salaf) abgewichen ist und den Weg eingeschlagen hat, der als seiner bekannt ist: die Existenz in notwendig und möglich aufzuteilen und [zu sagen,] dass das Mögliche unvermeidlich des Notwendigen bedarf. Dieser Weg ist derjenige, der als seiner bekannt ist und als der jener, die ihm nachfolgten, wie as-Suhrawardī6 – der getötet wurde – und seinesgleichen unter den Philosophen, Abū Ḥāmid,7 ar-Rāzī,8 al-Āmidī9 und andere unter den späteren kalām-Theologen, die Philosophie mit kalām-Theologie vermischen.

Die Inkohärenz, die Zweifel und die Verwirrung dieser späteren kalām-Theologen, die Philosophie mit kalām-Theologie vermischen, sind häufig, in Entsprechung zur Zunahme an Finsternis, [in] die sie [gestürzt] worden sind durch diese Philosophierenden, die Philosophie mit kalām-Theologie vermischen. Letztgenannten halfen die Lehren der verschiedenen Religionen, ein wenig Licht in ihre Finsternis zu bringen, wohingegen jene [Theologen] sich tiefer in die Finsternis begaben, indem sie sich mit den Lehren der Philosophierenden befassten. Und dies10 [geschah], obwohl bei den kalām-Theologen, die unter den Anhängern der verschiedenen Religionen sind, Dinge zu finden sind, für welche die ʿulamāʾ (Gelehrten) des Glaubens (milla) und die Imāme der Religion sie getadelt haben: Inkohärenz und Skeptizismus über [verschiedene] Dinge und Abgehen von der Wahrheit bei [verschiedenen] Themen, indem sie bei [verschiedenen] Themen [ihren] Launen folgen und bei anderen zur Wahrheit nicht fähig sind. Sie sind in der Tat nicht dazu fähig gewesen, die Vernunftbeweise zu erkennen, die Gott in Seinem Buch anführt, und sie sind von diesem Weg abgegangen zugunsten anderer, durch Neuerung eingeführter [Wege], in denen es nichtige [Behauptungen] gibt. Aufgrund dessen wichen sie von einigem von der Wahrheit ab, die ihnen und anderen gemeinsam war; sie verstrickten sich in einige der nichtigen, durch Neuerung eingeführten [Ideen]; sie schlossen von der Bekundung von Gottes Einzigkeit (tawḥīd) Dinge aus, die Teil davon sind – wie die Bekundung der Einzigkeit der Göttlichkeit (tawḥīd al-ilāhīya) und die Affirmation der Wirklichkeiten der Namen Gottes und Seiner Attribute. Und hinsichtlich der Bekundung von Gottes Einzigkeit (tawḥīd) hatten sie Wissen von nichts außer der Bekundung der Einzigkeit der Herrlichkeit (tawḥīd ar-rubūbīya), die darin besteht, zu bezeugen, dass Gott der Schöpfer von allem ist und sein Herr; nun ist aber eine solche Lehre der göttlichen Einzigkeit [eine, die] die Beigeseller ebenfalls zu bezeugen pflegten, über die Gott sagte: »Wenn du sie fragst: Wer ist es, der die Himmel und die Erde erschaffen hat? – werden sie sicherlich antworten: Gott.«11 […]

Jede Person, die dem Gesandten, Gott möge ihn segnen und ihm Frieden gewähren, seinen Gefährten und jenen, die ihnen nachfolgten im Gutes-Tun, näher ist, ist einer vollkommenen Bekundung von Gottes Einzigkeit (tawḥīd) und Glauben, Vernunft (ʿaql) und Gnosis (ʿirfān) näher. Jede Person, die von ihnen weiter entfernt ist, ist auch von jener weiter entfernt.

Die späteren die göttlichen Attribute affirmierenden kalām-Theologen (mutakallimat al-it̠bāt), die Theologie mit Philosophie vermischen – wie ar-Rāzī, al-Āmidī und ihresgleichen – stehen niedriger als Abū l-Maʿālī al-Ǧuwaynī12 und ähnliche [Theologen], was das Bezeugen der Lehre von der göttlichen Einheit (tawḥīd) und die Affirmation der Attribute der Vollkommenheit betrifft. Abū l-Maʿālī und ähnliche [Theologen] stehen niedriger als Qāḍī Abū Bakr Ibn aṭ-Ṭayyib13 und ähnliche [Theologen] in diesen Angelegenheiten. Diese stehen niedriger als Abū l-Ḥasan al-Ašʿarī14 in dieser Angelegenheit; al-Ašʿarī steht in dieser Angelegenheit niedriger als Abū Muḥammad Ibn Kullāb15; Ibn Kullāb steht niedriger als die Altvorderen (salaf) der Gemeinschaft und der Imāme in dieser Angelegenheit.

Die kalām-Theologen, die unter den Leuten waren, die die göttlichen Attribute affirmieren (mutakallimat ahl al-it̠bāt) und die die Vorherbestimmung (qadar) bezeugen, sind, was die Lehre von der göttlichen Einzigkeit (tawḥīd) und die Affirmation der Attribute der Vollkommenheit anbelangt, besser als die Bejaher des menschlichen Vermögens (qadarī) - die Muʿtaziliten, die Šīʿiten und andere -, weil die Leute, die die göttlichen Attribute affirmieren, (ahl al-it̠bāt) für Gott die Vollkommenheit der Macht (qudra), die Vollkommenheit des Willens (mašīʾa) und die Vollkommenheit der Schöpferkraft (ḫalq) affirmieren. [Sie affirmieren,] dass Er darin einzig (munfarid) ist, diese [Vollkommenheit] zu besitzen, und sie sagen, dass Er allein der Schöpfer aller Dinge ist – der identifizierbaren konkreten Dinge (ʿayn) und der Akzidenzien. Das ist der Grund, warum sie als das exklusivste Attribut des Herrn die Macht des Erschaffens (iḫtirāʿ) betrachten. Eine genaue Untersuchung zeigt jedoch, dass in Wahrheit die Macht des Erschaffens eine unter der Gesamtheit Seiner exklusivsten Eigenschaften ist; sie ist nicht, sie allein, das exklusivste Seiner Attribute. Diese [Bejaher des menschlichen Vermögen] schließen die Handlungen des Lebewesens (ḥayawān) davon aus, von Ihm erschaffen zu sein. Was sie wirklich sagen, läuft darauf hinaus, diese entstandenen Entitäten eines sie erschaffenden [Prinzips] zu berauben (taʿṭīl) und [die Existenz von] Teilhabern Gottes, die sie machen, zu affirmieren. Viele der späteren Bejaher des menschlichen Vermögens sagen, dass die Diener diese [Handlungen] erschaffen; was ihre Vorgänger (salaf) betrifft, so wagten sie nicht, dies zu sagen.

Darüber hinaus affirmieren die kalām-Theologen, die unter den Leuten waren, die die göttlichen Attribute affirmieren, (mutakallimat ahl al-it̠bāt) für Gott die Attribute der Vollkommenheit wie Leben, Wissen, Macht, Rede, Gehör und Gesicht. Was diese [Theologen, die kalām mit Philosophie vermischen,] betrifft, so affirmieren sie dies ebenfalls, haben aber ein mangelhaftes Verständnis einiger der Attribute der Vollkommenheit und ein mangelhaftes Verständnis der göttlichen Einzigkeit (tawḥīd). Sie sind daher der Ansicht, dass eine vollkommene Bekundung der göttlichen Einzigkeit darin besteht, die Einzigkeit der Herrlichkeit zu bekunden, und sie sind nicht aufgestiegen zu der [höheren] Bekundung der Einzigkeit der Göttlichkeit, welche die Gesandten gebracht haben und mit der die Bücher herabgesandt worden sind. Der Grund dafür ist, dass sie vieles von dem, was sie sagen, (kalām) von den kalām-Theologen der Muʿtaziliten übernommen haben und dass die Muʿtaziliten in dieser Angelegenheit mangelhaft sind: Sie haben in der Tat die Einzigkeit der Herrlichkeit nicht völlig bekundet, wie sie es verdient [bekundet zu werden]; wie [sollten sie] da a fortiori die Einzigkeit der Göttlichkeit [völlig] bekundet [haben]? Und trotzdem sind die Imāme der Muʿtaziliten und ihre šayḫs (führenden Gelehrten), die Imāme der Ašʿariten, die Karrāmiten16 und ihresgleichen besser, was das Bezeugen der Einzigkeit der Herrlichkeit betrifft, als die ašʿaritischen Philosophierenden wie ar-Rāzī, al-Āmidī und ähnliche [Denker]. Die letzteren haben in der Tat dies mit der Lehre von der göttlichen Einzigkeit der Philosophen vermischt – wie etwa Ibn Sīnā und ähnliche [Denker]; was nun die göttliche Einzigkeit anbelangt, so gehört diese Lehre (kalām) zu denen, die am weitesten von der Wahrheit entfernt sind, obgleich sie besser ist als das, was von ihren alten [Pendants] – Aristoteles und seinesgleichen – gesagt wurde.17


1 E ap. cr.: [buṭlān] E

2Abū Naṣr Muḥammad al-Fārābī (gest. 339/950), Philosoph und Logiker.

3D.h. Maimonides (gest. 1204).

4Mattā ibn Yūnus al-Qunnāʾī, Abū Bišr (gest. 328/940), irakischer nestorianischer Übersetzer und Kommentator von Aristoteles, Lehrer von al-Fārābī.

5Yaḥyā ibn ʿAdī (gest. 363/974), irakischer christlicher Philosoph und Theologe, Übersetzer und Kommentator von Aristoteles.

6Šihāb ad-Dīn Yaḥyā as-Suhrawardī, Theosoph und Mystiker, hingerichtet in Aleppo 587/1191; siehe Ibn Taymiyya, Darʾ at-taʿāruḍ, übersetzt in: Yahya Michot, A Mamlūk Theologian’s Commentary I, S. 183.

7Abū Ḥāmid Muḥammad al-Ġazālī aṭ-Ṭūsī, ašʿaritischer Theologe und Mystiker (gest. 505/1111).

8Der große ašʿaritsiche Theologe und Exeget von sowohl Qurʾān als auch Ibn Sīnā, Abū ʿAbd Allāh Muḥammad Faḫr ad-Dīn ar-Rāzī (gest. in Herāt, 606/1209).

9ʿAlī Abū l-Ḥasan Sayf ad-Dīn al-Āmidī at-Taġlabī, Theologe, der den Ḥanbalismus zugunsten des Šāfiʿismus verließ, interessierte sich für Philosophie, war aber anti-avicennisch (gest. 631/1233).

10Das heißt die Verbesserung des Denkens der Philosophen, die dem Islam anhängen, im Vergleich zu ihren griechischen Vorgängern.

11Qurʾān, Luqmān, 31:25.

12Abū l-Maʿālī ʿAbd al-Malik al-Ǧuwaynī, Imām al-Ḥaramayn, ašʿaritischer Theologe, Lehrer von al-Ġazālī (gest. 478/1085).

13Abū Bakr Muḥammad al-Bāqillānī, ašʿaritischer Theologe (gest. 403/1013).

14Abū l-Ḥasan al-Ašʿarī, kalām-Theologe (Baṣra, 260/873–Baġdād, 324/935).

15ʿAbd Allāh ibn Saʿīd al-Qaṭṭān al-Baṣrī, ein bedeutender Theologe des mitt­leren Weges zur Zeit der muʿtazilitischen miḥna (gest. 241/855?).

16Die Schüler des Theologen Abū ʿAbd Allāh Muḥammad ibn Karrām (gest. 255/869).

17Ibn Taymiyya, Minhāǧ as-sunna an-nabawīya, Bd. 3, S. 283–9 und 293–5

5.3.5 V. Die Theologie und Prophetologie der falāsifa, von Ǧahms Glaubenslehre bis Ibn ʿArabīs »Siegel der Freundschaft«

5.3.5 V. Die Theologie und Prophetologie der falāsifa, von Ǧahms Glaubenslehre bis Ibn ʿArabīs »Siegel der Freundschaft« Yusuf Kuhn

Die Rede von Ǧahm und von jedem, der mit ihm darin übereinstimmt, dass Glaube lediglich Erkenntnis und Fürwahrhalten (taṣdīq) ist und dass jemand allein dadurch Belohnung und Glückseligkeit verdient, gleicht annähernd der Rede jener unter den peripatetischen Philosophen und ihren Anhängern, die sagen, dass die Glückseligkeit des Menschen lediglich in seiner Erkenntnis der Existenz, wie sie ist, besteht. Desgleichen sind die Dinge, welche die Ǧahmiten und diese Philosophen hinsichtlich der Fragen von [göttlichen] Namen und Attributen und hinsichtlich der Fragen von [göttlichem] Zwang (ǧabr) und Bestimmung (qadar) sagen, einander nahe; und desgleichen hinsichtlich der Fragen bezüglich des Glaubens. Wir haben andernorts davon ausführlich gesprochen und einige der verdorbenen [Ideen], die darin enthalten sind, klar dargelegt; beispielsweise, dass Erkenntnis eine der zwei Vermögen der Seele ist, da die Seele zwei Vermögen hat – das Vermögen von Erkenntnis und Fürwahrhalten sowie das Vermögen von Wille und Handlung – genauso wie das Tier zwei Vermögen hat – das Vermögen der Empfindung und das Vermögen der willentlichen Bewegung.

Nun besteht aber die Rechtschaffenheit (ṣalāḥ) des Menschen und seiner Seele nicht lediglich in der Erkenntnis der Wahrheit, ohne1 sie zu lieben, sie zu wollen und ihr zu folgen. Desgleichen besteht seine Glückseligkeit nicht lediglich in seiner Erkenntnis Gottes und Bezeugung dessen, was Er verdient [an Namen, Attributen und Mächten], ohne Gott zu lieben, Gott zu dienen, Gott zu gehorchen. Der Mensch, der die heftigste Peinigung am Tag der Auferstehung erleidet, ist ja sogar ein Gelehrter, den Gott keinen Nutzen aus seinem Wissen hat ziehen lassen. Wenn ein Mensch die Wahrheit weiß, sie hasst und ihr Feind ist, verdient er den Zorn Gottes und Seine Bestrafung – etwas, das jemand, der nicht so ist wie er, nicht verdient. Desgleichen gibt es in jemandem, der nach der Wahrheit strebt und auf der Suche nach ihr ist, aber kein Wissen hat von dem, was er sucht, und von dem Weg, der zu ihr führt, Irregehen, und er verdient von der [göttlichen] Verdammung – die darin besteht, weit entfernt von Gottes Barmherzigkeit zu sein – etwas, das jemand, der nicht wie er ist, nicht verdient. Das ist der Grund, warum Gott, der Erhabene, uns geboten hat, zu sagen: ».Leite uns den geraden Weg, den Weg jener, denen Du Deine Segnungen erteilt hast, nicht jener, die (von Dir) verdammt wurden, noch jener, die irregehen!«2 »Jene, die (von Gott) verdammt wurden,« wussten die Wahrheit, aber liebten sie nicht und folgten ihr nicht. »Jene, die irregehen,« strebten nach der Wahrheit, aber auf eine unwissende und irregehende Weise hinsichtlich ihrer und des Weges, der zu ihr führt. Die ersteren sind die Entsprechung eines zügellosen Gelehrten, die anderen die Entsprechung eines unwissenden Anbeters. Die erste Lage ist die der Juden, sofern sie Leute sind, »die (von Gott) verdammt wurden«. Die andere Lage ist die der Nazarener, sofern sie »irregehen«. Es ist in der Tat vom Propheten, Gott möge ihn segnen und ihm Frieden schenken, wohlbekannt, dass er sagte: »Die Juden sind Leute, die (von Gott) verdammt wurden, und die Nazarener gehen irre.«3 Die Lage der Philosophierenden ist schlechter als jene der Juden und der Nazarener, sofern sie die Unwissenheit der letzteren und ihr Irregehen und die Zügellosigkeit der ersteren und ihre Ungerechtigkeit miteinander verbinden. Es ist mithin,was Unwissenheit und Ungerechtigkeit betrifft, etwas in ihnen, das es weder in den Juden noch in den Nazarenern gibt; was sie dazu führte, die Glückseligkeit lediglich als die Erkenntnis der wahren Naturen der Dinge (ḥaqīqa) zu aufzufassen, wodurch der Mensch zu einer intelligiblen Welt wird, die der existierenden Welt entspricht.

Überdies sind [die Philosophierenden] zu nichts gelangt außer zu einem winzigen Teil der Erkenntnis Gottes, Seiner Namen und Seiner Attribute, Seiner Engel, Seiner Bücher und Seiner Gesandten, Seiner Schöpfung und Seines Befehls. Ihre Unwissenheit ist daher größer als ihr Wissen, und ihr Irregehen ist größer als ihre Rechtleitung. Sie schwankten zwischen einfacher Unwissenheit und komplexer Unwissenheit hin und her. Was sie über Physik und Mathematik sagen, ist weder für die Vervollkommnung der Seele noch für ihre Rechtschaffenheit und Reinheit förderlich, da dieser Zustand nur durch die Wissenschaft der Gotteslehre herbeigeführt wird. Nun ist aber das, was sie über letztere sagen, wie »das Fleisch eines mageren Kamels auf der Spitze eines pfadlosen Berges: er ist nicht leicht zu besteigen, und es ist kein Fett zu verspeisen.«4 Was sie über den Notwendig-Existierenden sagen, ist fürwahr etwas, das zwischen einem kleinen bisschen Wahrheit und einer großen Menge von nichtigen, verderblichen [Ansichten] hin und her schwankt.

Gleiches [gilt] für das, was sie über die Intelligenzen und die Seelen sagen, von denen ihre Nachfolger unter den Anhängern der religiösen Konfessionen (milla) behaupten, dass sie die Engel seien, über die die Gesandten [die Leute] unterrichtet haben. Die Angelegenheit ist jedoch nicht so. Ihre Behauptung, dass jene die Engel sind, ist ja sogar von der gleichen Art wie ihre Behauptung, dass der Notwendig-Existierende die absolute Existenz unter der Bedingung der Absolutheit ist (al-wuǧūd al-muṭlaq bi-šarṭ al-iṭlāq), obgleich sie anerkennen, dass das Absolute unter der Bedingung der Absolutheit nicht [existiert] außer im Geist!5 Was sie darüber hinaus über die Intelligenzen und die Seelen sagen, geht, wenn es einer wahrhaft Untersuchung (taḥqīq) unterzogen wird, zurück auf Dinge, die in Gedanken angenommen werden und der Wirklichkeit im Konkreten ermangeln. Und indem sie dies sagen, stellen sie zudem Gott Teilhaber zur Seite, affirmieren sie [die Existenz von] einem Herrn außer Ihm, Urheber (mubdiʿ) der ganzen Welt, aber von Ihm verursacht, und affirmieren sie [die Existenz von] einem Herrn, Urheber von allem, was unter der Sphäre des Mondes ist, [obgleich er] von einem Herrn über ihm verursacht [ist], wobei letzterer [seinerseits] von einem Herrn über ihm verursacht ist… All dies ist viel abscheulicher als das, was die Nazarener vorbringen, wenn sie sagen, dass der Messias der Sohn Gottes ist, wie andernorts ausführlich dargelegt.

Die früheren [Philosophen] hatten zum Prophetentum überhaupt nichts zu sagen, und die späteren sind darüber verwirrt. Unter ihnen sind manche, die es insgesamt als Lügen betrachten, wie Ibn Zakarīyāʾ ar-Rāzī6 und seinesgleichen es taten – obgleich sie von dem Entstehen (ḥudūt̠) der Welt sprachen, pflegten sie die Existenz von fünf urewigen [Entitäten] zu affirmieren und von den [verschiedenen] Lehren die schlechtesten und verderblichsten zu übernehmen. Unter ihnen sind auch einige, welche die Wahrheit des [Prophetentums] anerkennen, auch wenn sie von der Urewigkeit der Welt sprechen, wie etwa Ibn Sīnā und seinesgleichen. Sie geben allerdings [dem Propheten] den gleichen Status wie einem gerechten König, und sie machen aus der Gesamtheit des Prophetentums etwas von der Art, was manchen der Rechtschaffenen geschieht – Enthüllen (kašf), Ausüben eines Einflusses (taʾt̠īr) und Imaginieren (taḫyīl). Sie erachten in der Tat drei Dinge als eigentümlich für den Propheten: das Vermögen zur rechten Intuition (al-ḥads aṣ-ṣāʾib), die sie »das heilige Vermögen« nennen; das Vermögen [, das darin besteht,] mittels seiner Seele einen Einfluss in der Welt zu haben; das Vermögen der Empfindung, durch das er die Intelligibilia hört und sieht, wie er sie in seiner Seele imaginiert. Die Rede Gottes besteht für sie aus den Klängen, die in seiner Seele sind, und Seine Engel sind die Formen und die Lichter, die in den Seelen der [Propheten] sind. Diese Eigenschaften werden [auch] von der Mehrheit der Leute der Übung und Reinigung (ahl ar-riyāḍa wa-ṣ-ṣafāʾ) erlangt. Das ist der Grund, weshalb ihnen zufolge das Prophetentum erworben (muktasab) werden kann. Ein jeder von jenen, die auf dem Pfad dieser [Philosophierenden] wandeln, wie as-Suhrawardī – der getötet wurde -, Ibn Sabʿīn der Maġribiner7 und ihresgleichen, versuchte schließlich das Prophetentum zu erlangen und ersehnte, dass zu ihm gesagt werde: »Stehe auf und warne!«8 Dieser9 pflegte zu sagen: »Ich werde nicht sterben, bis zu mir gesagt wird: Stehe auf und warne!«, während jener10 in Mekka zu bleiben und in der Höhle von Ḥirāʾ zu weilen pflegte, indem er danach trachtete, dass dort Offenbarung auf ihn herabkomme, wie sie [dort] auf den in Gewänder Eingehüllten und Eingewickelten (al-muzzammil al-muddat̠t̠ir)11 [Propheten] auf ähnliche Weise herabgekommen ist. Ein jeder von ihnen und von ihresgleichen betreibt verschiedene Praktiken der Phantasmagorie (sīmiyāʾ), die zur Magie gehört, und imaginiert (tawahhama), dass die Wunder der Propheten von der gleichen Art sind wie die Magie eines Phantasmagorikers (sīmāwī).

Jemand wie Ibn ʿArabī12 und seinesgleichen, für den es nicht möglich ist, das Prophetentum zu erlangen zu versuchen, und auch nicht, es zu besitzen vorzugeben, weil er um das Wort des wahrhaftigen und als wahr erwiesenen [Gesandten]: »Kein Prophet nach mir!«13 weiß, versucht, etwas zu erlangen, das, so behauptet er, höher als das Prophetentum ist. Er gibt daher vor, dass Freundschaft (walāya) größer ist als Prophetentum und dass das Siegel der Freunde größer ist als das Siegel der Propheten, dass der Freund [sein Wissen] von Gott ohne Vermittler bezieht, wohingegen der Prophet es durch die Vermittlung des Engels bezieht. Diese [Idee] gründet auf dem [folgenden] Prinzip jener der Philosophen, denen sie folgen: Die Engel sind ihnen zufolge lichthafte, imaginäre Gestalten, die in der Seele des Propheten oder des Gottesfreundes repräsentiert werden (taṣawwara). Die Engel sind ihnen zufolge mithin etwas, das er in seiner Seele imaginiert (taḫayyala). Der Prophet bezieht ihnen zufolge [sein Wissen] durch die Vermittlung dieses Aktes der Imagination (taḫayyul), wohingegen der Gottesfreund sein intellektuelles Wissen ohne solch einen Akt der Imagination bezieht. Nun gibt es keinen Zweifel, dass jemand, der Wissen ohne Imagination bezieht, vollkommener ist als jemand, der es durch Imagination bezieht. Da sie über das Prophetentum das glauben, was jene Philosophierenden glauben, gelangen sie schließlich dazu, zu sagen, dass Gottesfreundschaft größer als Prophetentum ist, genauso wie viele der Philosophen sagen, dass der Philosoph größer als der Prophet ist. Das ist in der Tat, was al-Fārābī, Mubaššir ibn Fātiq14 und andere sagen. Diese sagen auch, dass das Prophetentum das vorzüglichste der Dinge ist, insofern das gemeine Volk, nicht die Elite, betroffen ist. Das Kennzeichen des Propheten ist, so sagen sie, eine hervorragende [Kraft], [die Leute Dinge] imaginieren zu lassen (taḫyīl) und [sie] zu imaginieren (taḫayyul).

[Sodann] kamen jene, die Philosophie in der Modellform der Freundschaft hervorbrachten und vom »Freund« sprachen, um den Philosophierenden zu bezeichnen, die Ideen der Philosophen aufgriffen und sie in der Form einer [mystischen] Enthüllung und einer [göttlichen] Anrede (muḫāṭaba) hervortreten ließen. Der Freund, so sagten sie, ist größer als der Prophet, da er die abstrakten (muǧarrad) Ideen von Gott bezieht ohne die Vermittlung eines Aktes der Imagination von etwas in seiner Seele, wohingegen der Prophet sie von Gott bezieht durch die Vermittlung von Formen und Klängen, die er in seiner Seele imaginiert.

Solche Verleumdung war ihnen jedoch nicht genug: Sie stellten sogar die Behauptung auf, dass alle Propheten und Gesandten ihr Wissen um Gott von der Nische des Siegels der Gottesfreunde ableiten. Die letztere ist allerdings unter den Geschöpfen das unwissendste über Gott und das von der Religion Gottes am weitesten entfernte. Darüber hinaus besteht für sie das Wissen um Gott darin, zu wissen, dass Er die absolute Existenz ist, die in die seienden Wesenheiten ausströmt. Die Existenz jedes Existierenden ist mithin auf identische Weise die Existenz des Notwendig-Existierenden. Dies zu sagen, entspricht in Wirklichkeit dem, was von den naturalistischen Eternalisten (dahrīya ṭabīʿīya) gesagt wird, die leugnen, dass die Welt einen Urheber hat, der sie hervorgebracht hat, d.h. einen Notwendig-Existierenden an sich. Oder sie sagen vielmehr sogar, dass die Welt selbst notwendig existierend an sich ist. Was jene [Leute] wirklich sagen, ist somit schlimmer als das, was die divinalistischen Eternalisten (dahrīya ilāhīya) sagen, und bei genauer Untersuchung (taḥqīq) geht es zurück auf das, was die naturalistischen Eternalisten sagen.15


1— : E

2Qurʾān, al-Fātiḥa, 1:6–7.

3Siehe Ibn Ḥanbal, Musnad, Bd. 4, S. 378–9.

4Zu dem ḥadīt̠ von Umm Zarʿ, der diese Metapher enthält, und weiteren Texten von Ibn Taymiyya, in denen er verwendet wird, siehe Yahya Michot, A Mamlūk Theologian’s Commentary II, S. 345–6, Anm. 130.

5Zu Ibn Taymiyyas Typologie der absoluten Existenz, siehe Yahya Michot, A Mamlūk Theologian’s Commentary II, S. 360–3.

6Abū Bakr Muḥammad ibn Zakarīyāʾ ar-Rāzī (Rhazes für die Lateiner; gest. 313/925 oder 323/935), Arzt und Philosoph, der alle Propheten als Hochstapler betrachtete und von fünf ewigen Entitäten ausging, die dem Kosmos vorausgehen: Gott, Seele, Materie, Raum und Zeit.

7Quṭb ad-Dīn Abū Muḥammad ʿAbd al-Ḥaqq ibn Sabʿīn, Philosoph und Mystiker (Murcia, 613/1217–Mekka, 668/1269).

8Siehe Qurʾān, al-Muddat̠t̠ir, 74:2.

9As-Suhrawardī; siehe Ibn Taymiyya, Maǧmūʿ al-fatāwā, übersetzt in: Yahya Michot, A Mamlūk Theologian’s Commentary I, S. 183–4.

10Ibn Sabʿīn; siehe Ibn Taymiyya, Maǧmūʿ al-fatāwā, übersetzt in: Yahya Michot, A Mamlūk Theologian’s Commentary I, S. 184.

11Siehe Qurʾān, al-Muzzammil, 73:1; al-Muddat̠t̠ir, 74:1.

12Muḥyī d-Dīn Abū ʿAbd Allāh Muḥammad ibn al-ʿArabī, Theosoph und Mystiker (Murcia, 560/1165–Damaskus, 638/1240).

13Siehe Muslim, Ṣaḥīḥ, Bd. 6, S. 17; Ibn Ḥanbal, Musnad, Bd. 2, S. 172.

14Ägyptischer Gelehrter und Historiker, ca. 5./11. Jh., Adept der Philosophie und Medizin, Verfasser einer umfangreichen Anthologie, die fast gänzlich den alten griechischen Sagen gewidmet ist: Muḫtār al-ḥikam wa-maḥāsin al-kalim (Auswahl der Sinnsprüche und gefälligen Sprichwörter), verfasst 440/1048–9.

15Ibn Taymiyya, Šarḥ ḥadīt̠ Ǧibrīl, 496–509 (= Maǧmūʿ al-fatāwā, Bd. 7, S. 585–90).